Perspektivwechsel: Der herabschauende Hund und das kleine Format

Stell deine Sicht mal auf den Kopf

Wir leben in herausfordernden Zeiten. Als im Frühjahr das Leben heruntergefahren wurde, war ich gar nicht so unglücklich darüber. Die Situation bot mir die Gelegenheit, Dinge einmal anders zu machen und die Prioritäten neu zu ordnen. Mitte Mai starteten die Kurse und Workshops wieder und für mich war es schwierig, diese neuen Erkenntnisse in den normalen Alltag zu intergieren. Das ist mir mal mehr, mal weniger gut gelungen.

Vor kurzem jedoch fuhr ich morgens zu den diesjährigen offenen Ateliers in Köln, um mein eigenes Atelier zu öffnen und hatte dabei plötzlich ein totales Glücksgefühl. Alles, was ich tue, ist miteinander vernetzt und verwoben, aber auf eine gute Art, dachte ich. Ich war sehr bei mir selbst und im kreativen Flow. Ich spürte unglaubliche kreative Energie, denn ich hatte den Vortag dazu genutzt, Illustrationen für den Gedichtband meiner Tochter zu zeichnen. Nun erfreute ich mich über die Möglichkeit, wieder einmal konzentriert mit Stift und Aquarell zu arbeiten. Im Gegensatz zu den großen Acrylarbeiten, die ich an diesem Wochenende im Atelier zeigte, war dies wirklich ein Perspektivwechsel. Ruhig, fokussiert und mit Leichtigkeit entstehen die Illustrationen. Kraftvoll, dynamisch und mit viel Energie die großen Baumbilder auf grundierter Leinwand. Beides hat eine ganz eigene Qualität und Wirkung, auch auf den Betrachter.

Dabei kam mir der Gedanke, wie wichtig für mich ab und an dieser Perspektivwechsel ist und wie er mein kreatives Arbeiten stimuliert. So wird aus den einzelnen Facetten meines schöpferischen Lebens etwas Ganzes. Perspektivwechsel erlebe ich in den unterschiedlichsten Lebensbereichen, auch beim Sport: Der morgendliche herabschauende Hund in meinen Yogaeinheiten lässt die Welt auf dem Kopf stehen. Der gleiche Weg, einmal hin und einmal zurück gegangen, ermöglicht neue Blickwinkel und es gibt andere Dinge zu entdecken. Wenn ich einen Konflikt nicht lösen kann, dann versuche ich meine Haltung dazu zu ändern und es fühlt sich anders an.

Kreativität kann viele Facetten haben. Auch ein Ausflug in benachbarte Genres ist eine Bereicherung. Ich nehme mir neben der Malerei auch immer wieder Auszeiten an der Nähmaschine. Als kreativen Prozess empfinde ich auch die Kreation meiner experimentell gekochten Gerichte, die manchmal nach Farbkompositorischen Gesichtspunkten oder mit vielen Kontrasten abgeschmeckt werden. Sehr zur Freude meiner Familie 🙂 Die Entwicklung neuer Kursthemen und Inhalte ist etwas, was ich als absolute Bereicherung zu meiner künstlerischen Arbeit sehe.

Die Autoren Thomas und Martin Poschauko setzen sich in ihrem Buch „Nea machina – Die Kreativmaschine“ (Verlag Hermann Schmidt) mit solchen kreativen Prozessen auseinander und machen ähnliche Erfahrungen: „Die spürbare Erkenntnis: Alles ist Inspiration. Bald schien es so, als würde der bloße Glaube, diese Ideen finden zu können, ausreichen, um sie auch wirklich zu entdecken…“. Sie empfehlen in ihrem Buch die formale Variation und geben den Tipp, sich vom Gegenteil der eigenen Meinung überzeugen zu lassen, sprich genau das Gegenteil eines Entwurfes zu erkunden, um das volle schöpferische Potenzial auszuleben und wirklich frei zu werden in der Gestaltung. Sie vertreten die These, dass während des Gestaltungsprozesses ein Wechsel zwischen Bauch und Kopf, also zwischen rationalem und intuitiven Entwicklen  vielfältige, spannende und völlig unerwartete Ergebnisse zu Tage bringen.  Na, wenn das nicht eine wunderbare Möglichkeit des Perspektivwechsels ist.

Eine andere Idee wäre, mal die Dinge ganz anders zu machen! Wenn du normalerweise groß malst, dann arbeite einmal ganz klitzeklein, wenn du klein malst, dann trau dich mal ans ganz große Format. Das sind Herausforderungen, die dich zwingen, anders als üblich zu arbeiten. Wenn du etwas ganz besonders stark erreichen möchtest, wie zum Beispiel die Lösung eines Problems im Bild, oder die Fertigstellung, dann lass los. Erst dadurch und in der lockeren Arbeitsweise wird dir die Lösung begegnen.

Du kannst auch die gewohnten Malwerkzeuge oder deine Lieblingsfarben mal im Schrank lassen und dadurch unerwartete, neue Kombinationen erarbeiten. Topfschwamm, Spülbürste und Tapezierquast lassen grüßen. Wenn du gewohnt bist, die üblichen Sichtweisen zu verlassen und deine Sinne zu öffnen, dann wird alles Kreativität. Du siehst überwältigend viele Dinge, die du schöpferisch nutzen kannst. Die Ideen sprudeln förmlich und fliegen dir zu. So geht es mir ab und an und es fühlt sich großartig an.

Dazu Thomas und Martin Poschauko: „Das Gestalten regt unsere Sensibilität für die Welt an….Wir näherten uns im Experiment den unterschiedlichsten Projekten und verfolgten dabei viel ungewöhnlichere Wege, als wir es zunächst von angewandten Projekten gewohnt waren. Und um zu möglichst unterschiedlichen und innovativen Ansätzen zu kommen, bezogen wir verstärkt unsere gesamte Umwelt als Ideengeber in den kreativen Prozess ein… Durch diese intensive Auseinandersetzung wuchs unsere Sensibilität für die Welt Tag für Tag. Wir wurden mit zunehmendem Verlauf immer inspirierter und wacher für die Dinge, die uns umgaben.“

Auf diese Weise kannst du solchen schwierigen Zeiten vielleicht doch etwas Positives abgewinnen. Als Chance, Dinge einfach anders zu tun und dabei unter Umständen etwas zu entdecken, was dir ansonsten nicht begegnet wäre. Und da mir nun ganz aktuell Corona wieder vier Wochen Lockdown beschert, versuche ich diesen plötzlichen Freiraum wieder einmal ganz kreativ für mich zu nutzen und praktiziere, was ich gerade geschrieben habe, selbst. Bleibt zuversichtlich!

Viel Freude bei allen Experimenten, lass Farbe fließen

Angelika

 

 

 

6 Kommentare

  1. BETTINA Schuppe-Hillebrand
    4. November 2020

    Liebe Angelika, was für ein schöner inspirierender Beitrag. Er macht mir Mut und Lust zum Ausprobieren…auf ein baldiges Wiedersehen in einem deiner tollen Workshops.

    Liebe Grüße Bettina

    Antworten
    1. Angelika Biber
      4. November 2020

      Liebe Bettina, vielen lieben Dank, es freut mich sehr, dass der Beitrag dich inspiriert. Das können wir in diesen irrsinnigen Zeiten alle gebrauchen, oder?
      Ganz liebe Grüße, Angelika

      Antworten
  2. Hilde Wittling
    12. November 2020

    Liebe Angelika,
    wieder ein unglaublich toller Blogartikel , der Mut macht die Dinge auch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und neue Wege zu gehen. Die Illustrationen sind Spitze!!!
    Dankeschön! Deine positive Einstellung tut sooo gut in dieser verrückten Zeit.

    Alles Liebe und ganz herzliche Grüße von
    Hilde

    Antworten
    1. Angelika Biber
      12. November 2020

      Liebe Hilde, danke 🙂 Es gelingt mir zwar auch nicht immer, eine positive Einstellung zu bewahren, aber immer öfter! Das hat mich schon durch die eine oder andere Lebenskrise getragen. Das künstlerische Schaffen hilft dabei, denn Kreativität bleibt, egal was kommt.
      Ganz liebe Grüße, Angelika

      Antworten
  3. Renate Rüter-Nork
    21. November 2020

    Liebe Angelika,
    es hat mir viel Freude gemacht , deinen Blog zu lesen und die schönen neuen Bilder zu betrachten .
    Ja, diese Herbstfarben inspirieren zum Kreativsein! Wie gut , dass du trotz erneutem Lockdown weiterhin positiv gestimmt bist !
    Hoffentlich können die Workshops bald wieder stattfinden!
    Alles Liebe und Gute , vielleicht bis bald!
    Herzliche Grüße von Renate

    Antworten
    1. Angelika Biber
      21. November 2020

      Danke dir, liebe Renate. Ja, ich versuche immer das beste aus der Situation zu machen.
      Ganz liebe Grüße, ich melde mich sobald ich absehen kann, Ober der Kurs im Dezember stattfinden kann.

      Antworten

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