Und täglich grüßt das Murmeltier

oder die Vorzüge täglichen Zeichnens

Im Augenblick weiß ich gar nicht, ob ich lieber zeichne oder male. Schon seit Jahren arbeite ich in meine Bilder Linien ein, mal abstrakt, mal gegenständlich. Der Wunsch nach grafischen Elementen scheine ich also schon lange zu hegen. Natürlich habe ich auch schon immer gezeichnet, aber seit einiger Zeit etabliere ich meine tägliche Skizzenbuch-Kreativ-Routine und habe dadurch in den Flow des Zeichnens gefunden. Das macht mich so happy, denn: Auch früher hatte ich den Wunsch, täglich in mein Skizzenbuch zu zeichnen. Das habe ich aber häufig nicht lange durchgehalten. Entweder hatte ich keine Ideen, was ich zeichnen sollte oder mein großer innerer Kritiker, den ich beim Zeichnen wohl habe, hat mich langfristig davon abgehalten. Diese Blockade, die ich beim Malen meist überwinden kann, hat mich beim Zeichnen bisher sehr beeinträchtigt.

Nun begreife ich auch Zeichnen als Prozess, bei dem ich auch Fehler machen darf. Das entspannt ungemein. Da ich täglich zeichne, ist es ok., wenn nicht jede Skizze im Heft ein Meisterwerk wird. Ich experimentiere und erprobe dabei genauso, wie bei meiner Malerei.

Versuche neue Material- und Farbkombinationen, arbeite an meinem eigenen, spezifischen Linienspiel. Suche mir Themen, an die ich mich langfristig annähere. Dies sind im Augenblick Figuren und menschliche Darstellungen oder Orte, an denen ich mich gerade aufhalte. Alles trägt dazu bei, dass ich mehr Freude am Tun empfinde. Und es entwickelt sich. Heute habe ich mit meinen neuen Erkenntnissen eine Zeichnung angefertigt, die mich sehr glücklich macht, weil sie meinen Fortschritt dokumentiert.

Ich entwickele einen anderen Blick auf meine Zeichenobjekte. Es kann auch etwas ganz Banales, wie die Zeichnung meines Abendessens sein. Es dient zur Übung und zum täglichen Training.

Da ich mich deswegen sooo freue, möchte ich meine Erkenntnisse mit dir teilen. Vielleicht nimmst du dir dadurch auch etwas als Anregung mit.

  • Als ich mit meiner täglichen Zeichenpraxis begonnen habe, war ich noch sehr bemüht, alles „richtig“ hinzubekommen. Perspektive, menschliche Proportionen und die Komposition der Zeichnung können sehr herausfordernd sein. Besonders alles gleichzeitig zu beherzigen. Ich habe gelernt, dass der eigene Ausdruck der Zeichnung wichtiger ist als die Perfektion. Besonders das Zeichnen aus einer Linie ist dabei eine Offenbarung, damit ich in den eigenen Duktus komme. Krumm kann schön dynamisch sein und eigentümliche Proportionen der Figuren mein Merkmal. Wer weiß das schon?
  • Beim Malen lasse ich den Farbklang immer Schritt für Schritt entstehen. Ich habe also nie das ganze Farbkonzept vorher im Kopf, sondern ich entwickele es nach und nach. Beim Zeichnen habe ich nun mit reduzierten Farbpaletten gearbeitet, die ich vorher getestet und festgelegt habe. Eine völlig neue Vorgehensweise für mich. Natürlich hilft mir auch hier mein Wissen, wie jede Farbe wirkt und welche Kombinationen für mich gut funktionieren, aber das Fokussieren auf wenige Farben stärkt und vereinfacht den Ausdruck der Zeichnung ungemein.
  • Ich habe neue Zeichenmaterialien entdeckt, die ich wild miteinander kombiniere. Nicht alles funktioniert, aber vieles erstaunlich gut. So verwende ich z.B. Gouache-Farbe zum Grundieren meiner Zeichnung, um die Stimmung festzulegen. Der Vorteil zur Aquarellfarbe, die ich früher häufig verwendet habe, ist, dass ich damit auch Teile der Zeichnung wieder überdecken kann. Eine weitere Neuentdeckung sind Marker mit Brush-Spitze. Damit kann ich z. B. bei Figuren erst mal den groben Umriss festlegen und dann mit einem feineren Stift Details hinzufügen. Diese Technik ist auch sehr praktisch bei beweglichen Zeichenmotiven, da die grobe Fläche mit dem Marker schnell gesetzt ist, wenn das Objekt eine andere Position einnimmt. Die Details können später aus dem Gedächtnis hinzugefügt werden.
    Alles in allem dient das Experimentieren mit den verschiedenen Materialien dazu, meinen eigenen Stil zu stärken und einen unverwechselbaren Ausdruck in meinen Zeichnungen zu finden.
  • Auch bei meinen Skizzen möchte ich reduzieren. Der weiße Raum gestaltet mit. Diesen bewusst kompositorisch einzusetzen, um Spannung und Leichtigkeit zu erzeugen, ist eine weitere Challenge für mich. Eine Konzentration zu erzeugen, in dem ich Formen verdichte, dafür aber andere Bereiche offen lasse, kann den Blick wunderbar führen. In meiner Malerei habe ich dies schon lange verinnerlicht, in der Skizze praktiziere ich das erst seit Kurzem. Klappt nicht immer, aber immer öfter 😉
  • Als freischaffende Künstlerin und Dozentin warten viele Aufgaben auf mich. Das Malen selbst macht nur einen Bruchteil des Berufs aus. Deswegen gibt es leider nicht so viele Mal-Tage im Atelier, wie ich es gerne hätte. Zum Zeichnen wiederum findet sich immer eine Lücke, ist mit weniger Aufwand zu praktizieren und ist sogar unterwegs und auf Reisen möglich. 5 oder 10 Minuten tägliche Übung lassen sich gut in den Tagesablauf integrieren und macht am Ende der Woche doch den Unterschied. Und weil ich es mehr als tägliche Übung sehe und weniger das Ergebnis zählt, ist die Hemmschwelle geringer, es wirklich regelmäßig zu praktizieren.
  • Themen, die auf meinen gemalten Bildern häufig zu finden sind, einmal grafisch anzugehen, ist eine tolle Bereicherung meiner malerischen Arbeit. Herauszufinden, was jeweils funktioniert oder auch nicht, macht mich noch klarer im Tun. Die allgemeinen Gestaltungs- und Kompositionskriterien funktionieren ähnlich, egal welches Medium ich benutze. Auch eine Art des Perspektivwechsels.
  • Ein weiterer Perspektivwechsel ist, eine Idee mit verschiedenen Zeichenmaterialien umzusetzen. Wie ist der Ausdruck des jeweiligen Materials? Welche Anmutung erzeuge ich mit der Art des Striches, der Linienstärke, mit der speziellen Farbgebung? Kreiere ich eine reine Linienzeichnung oder integriere ich Farbflächen, um die Stimmung besser spürbar zu machen? Und passt dieser Ausdruck zu meiner Arbeitsweise bzw. finde ich mich selbst darin wieder?

Es gibt wahrscheinlich noch weitere Vorzüge für das spartenübergreifende künstlerische Arbeiten, aber dies sind die Punkte, die mir spontan einfallen.

Ganz klar ist: Es muss gar nicht entweder oder sein. Beides, Malerei und Zeichnung kann sich gegenseitig bereichern, ergänzen und sogar verstärken. Ich fühle mich, obwohl der Zeitaufwand überschaubar ist, dadurch noch kreativer und meinem Ziel näher, schöpferisch zu leben.

Habe ich dich ein wenig überzeugt, auch täglich zu skizzieren?

Viel Freude bei allen Experimenten,
lass Farbe fließen,

Angelika

 

 

 

4 Kommentare

  1. Annemarie Hamacher
    20. September 2023

    Liebe Angelika, also erst mal einfach vielen Dank. Die Ermutigung zu zeichnen, kleine Skizzen zu machen und Ähnliches finde ich sehr gut und inspirierend, wie du das präsentiert hast. Ich habe früher als ich noch besser sehen konnte , auch viel kleines gezeichnet. Oft habe ich später, und auch wenn ich ganz tolle Farben in der Natur gesehen habe, die eine Szene außergewöhnlich interessant machten, nicht mehr so hingekriegt auf größeren Bildern. Aber jetzt werde ich das noch mal anders versuchen. Es lohnt sich immer., Auch aus kleinen Bildern entstehen neue Ideen , deshalb finde ich es gut, wie du das aufgegriffen hast. Viele liebe Grüße von Annemarie Hamacher

    Antworten
    1. Angelika Biber
      21. September 2023

      Liebe Annemarie, vielen lieben Dank für deien Nachricht. Ich freue mich, dir den Impuls gegeben zu haben. Es geht ja letztendlich darum, unserem Wunsch, etwas zu gestalten, näher zu kommen.Das kleine Tun lässt sich häufig besser in den Tag integrieren und macht dennoch Lust auf mehr und vielleicht sogar auf größer. Alles kann nichts muss 🙂 Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Freude dabei!

      Herzliche Grüße, Angelika

      Antworten
  2. Punte, Hanna
    21. September 2023

    Liebe Angelika,
    auch mir hast du mit deinem aktuellen Blog den Impuls gegeben, zu zeichnen. Leider kann ich, aufgrund meiner jetzigen Corona-Infektion, nicht in unser Atelier, die Malerei hat also (Zwangs-)Pause. Früher habe ich oft gezeichnet; in den 90ern, als ich mit der Malerei anfing, besuchte ich über 3 Jahre einen wöchentlichen Malkurs, und es waren für uns Teilnehmer immer Stillleben aufgebaut, die wir abzeichnen sollten. Im Laufe der Zeit entwickelte jede/r seinen ganz persönlichen Stil dabei, es wurden auch andere Elemente in die Stillleben eingesetzt, die Farben wurden abstrakter, der Hintergrund und der Umraum wurde interessant mitgestaltet. Die Stillleben bekamen dadurch eine gewisse neue, eigene Aussage. Das hat mir alles sehr viel Spaß gemacht.
    Jetzt habe ich das Zeichnen wieder entdeckt, und ich stelle fest, daß ich Stillleben immer noch sehr mag.
    Gestern habe ich, nach sehr langer Zeit mal wieder gezeichnet, und es hat mich sehr zufrieden gemacht. Ich “traute” mich sogar, dies auf fb zu posten. :-))
    Liebe Grüße von mir, Hanna

    Antworten
    1. Angelika Biber
      21. September 2023

      Liebe Hanna, oh, das ist blöd, aber dann weißt du dich ja (wie immer) gut zu beschäftigen. Ich freue mich, dass ich inspirieren konnte. Vielleicht hättest du ohne Corona gar nicht gezeichnet…? Ich hoffe, du hast einen milden Verlauf und kannst bald wieder mit neuen Ideen, neuen Impulsen und voller Energie ins Atelier gehen.
      Stillleben mag ich auch sehr gerne, die laufen auch nicht weg, wenn sie gezeichnet werden 😉
      Da schaue ich gleich mal bei fb….
      Gute Besserung und liebe Grüß0e

      Antworten

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